Gipfelstürmer:

Gipfelstürmer:


001 Glockenwanderweg und Seiffner Reiterlein
002 Brüderchen ...





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E-Mail: ludwig.eppendorf@freenet.de

Letzte Änderung am 06.06.2023

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Glockenwanderweg
Erster deutscher GLOCKEN WANDER WEG Deutschneudorf und Umgebung.
Etwas zögerlich betrat ich ihn, aber wenn man den Flyer richtig studiert hat, wird es einem leichter. Im Flyer liest man über die 16 Stationen des Weges, meist die Glocken betreffend, der 4 zusätzlichen Informationstafeln, eine Abhandlung "Von Kupfer zum Zinn" und einer Kurzbeschreibung des Weges.
Der Weg ist das Ziel, im wahrsten Sinn des Wortes - und die angegebenen 23 km muss ich nicht an einem Tag bestreiten. Nach meiner Meinung läuft man dabei am Ziel vorbei. An 20 Tafeln je 15 Minuten rasten, das sind schon 5 Stunden und dann 20 Minuten für einen Kilometer gerechnet, kommen noch einmal fast 6 Stunden dazu, und das alles im "Sturmschritt".

Der Glockenwanderweg schneidet andere Wanderwege oder wird von diesen berührt. Ein ausgedehntes Netz von Wanderwegen liegt über der Region Seiffen und Umgebung. Das kann zu Orientierungsproblemen führen. An einem Weg, dem "dt. - tsch. Erlebniswanderweg" (als Wandermännchen gekennzeichnet) kann man nicht einfach vorübergehen. Auf deutscher Seite sind 4 Stationen sehr interessant eigerichtet. Am Biotop in der Nähe des Anton-Günther-Stein, (580 m), fühlt man sich sehr wohl.

Ich lese nochmal den Flyer und will es gemütlich angehen. Das bin ich auch meinen Gedanken schuldig.

Ich trete in die Fußspuren von Anton Günther. Auf diesen Wegen entstanden schon Lieder in seinem Kopf und kaum zu Haus angekommen schrieb der Literat seine Gedanken auf, setzte die Noten dazu, versah die Liedpostkarten mit Skizzen und in diesem Sinne pfeife ich mir eines seiner Lieder. Auf einem der vielen schön gelegenen Ruheplätze hol ich meine Flöte heraus und lass die Töne hinauf zu Anton unserem "Toler-Hans-Tonl" erklingen.

Ich trete in die Fußspuren unseres "Stülpnerkarls", in unserer Heimatregion noch heute als Volksheld verehrt und gelegentlich als "sächsischer Robin Hood" bezeichnet. Dabei muss ich, so nahe am Böhmischen, sofort an seinen Freund, den verwegenen Wildschützen Johannes Karaseck und seine anderen Mitstreiter denken. Dazu kommt die Geliebte Napoleons, die Gräfin Charlotte Kielmannsegge aus der Nähe von Dresden, welche viel Unheil stiftete und zu guter Letzt muss ich an Napoleon selbst denken.

Ich trete in die Fußspuren von Karl May, was viele nicht glauben, hier in unserem Gebirge ist er gewandert. Erzgebirgische Dorfgeschichten, Das Buschgespenst, Die Weihnachtsgeschichte und die vielen Bezüge in seinen Werken zu seiner erzgebirgischen Heimat. Karl May, der aus ärmsten Verhältnissen kommend den daraus anerzogenen Glauben öffentlich darlegte und nie einen Zweifel an seinem Glauben duldete. Dieser Glaube bedeutete ihm alles, Führte auch zum Schreibverbot von dem er sich möglicherweise loskaufen konnte. Aus Erfahrungen vor allem aus seiner Jugendzeit, wurde ihm ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn mitgegeben. Auch aus diesem Grunde verlegte er seine geglaubte Freiheitsidee zusammen mit seiner Gottesfürchtigkeit in die Ferne, da seine gut gemeinten Belehrungen und Hinweise zu Gott im eigenen Lande nicht erhört wurden. Aus der Ferne wurde er durch spannende Ausführungen erhört, wobei der Glaube beim "Verschlingen" seiner Storys doch wieder in den Hintergrund trat, trotz er den Nutzen des Glaubens immer wieder deutlich herausstrich. Im Vorwort zu den Erzgebirgischen Dorfgeschichte, Frühwerke, setzte er im Alter ein Vorwort dessen Inhalt meine Meinung bestätigt.

Ich trete in die Spuren der Bergleute, die auf diesen Wegen zur Schicht gingen, im dunklen zur Grube und im dunklen wieder nach Hause. Ihr Glaube ließ sie trotz der schweren Last des Alltages aufrecht, ja stolz, diesen Weg gehen. Dabei gab der Bergmann den Wegen oft den Namen der gefundenen Metalle, vor allem Kupfer und Zinn, den Namen der Gruben oder der benötigten Transportmittel. Von Erz mit Urananreicherungen fand ich keine Namen.

Ich trete in die Spuren der Haushaltgeräte- und Spielzeugmacher, die auf diesen Wegen das benötigte Holz nach Hause brachten. Ihre Kinder sammelten hier Pilze und Beeren, was die Förster mit kritischen Augen betrachteten. Die Mutter hielt alles zusammen, die Schwestern klöppelten, die Brüder schnitzten, der Vater drechselte, alle halfen beim Bemalen der gedrechselten Dinge und trotzdem reichte es hinten und vorne nicht; und zum Weihnachtsfest wurde aus dem traditionellen Neunerlei oft, aus Geldmangel, nur ein Siebenerlei. Stolz, ehrlich, arbeitsam, genügsam und demütig ist der Gebirgler trotzdem geblieben

- und ich laufe auf diesen Spuren.

"So wie die tönenden Glocken im Dreiklang ihre Vollendung finden, so erleben Sie auf diesem ersten deutschen Glockenwanderweg einen Dreiklang von Naturerlebnis, Wandern und Kulturgeschichte." Diesen Satz finde ich treffend im Flyer.

Ihre Vollendung findet die Glocke in einem Gedicht von Friedrich Schiller. Eine Dichtung, welche lyrisch, episch, dramatisch und lehrhaft zugleich ist, "Das Lied von der Glocke", welches 1799 entstand, das Hohelied auf die Arbeit. An das Entstehen der Glocke knüpft Schiller die lebensvollen Bilder des Menschendaseins in einem Bilderbogen, welcher das ganze Leben widerspiegelt.

Vom Anfang, vom "Urboden" an beginnend -

Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.

- wendet Schiller die Blicke hinauf zu der schwingenden Glocke mit der Inschrift:

"Vivos voco. Mortuos plango. Fulgura frango.";
(Die Lebenden rufe ich. Die Toten beklage ich. Die Blitze breche ich.)


Er schreit in der letzten Strophe die Botschaft in die Welt hinaus:


Jetzo mit der Kraft des Stranges
Wiegt die Glock' mir aus der Gruft,
Daß sie in das Reich des Klanges
Steige, in die Himmelsluft.
Zieht, zieht, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt.
Freude dieser Stadt bedeute,
F r i e d e sei ihr erst Geläute!


"Er war groß und stark, … liebte Blumen, … vor allem Lilien, … Lila war seine Lieblingsfarbe… Wahrheit und Liebe waren die Religion seines Herzens" sagte Karoline von Wolzogens über Schiller.



Seiffner Reiterlein

Das Reiterlein "Fritz der Husar" als Nußknacker. (leicht gekürzt)
Wer und wie bin ich?
Ich bin ein Husar und sitze stolz auf meinem Ross mit den sieben blauen Punkten und seinem geschwungenen Sattel. Ich bin nicht kriegerisch und habe daher meinen Eigentums-Degen mit Kammerstempel zu Hause gelassen. Auf meine Uniform bin ich besonders stolz.



Die schwarze Pelzmütze mit dem roten Gardestern steht mir gut. Meine "Preußen Attila" für einen Gefreiten im Husaren-Regiment, prangt im leuchtenden Rot, die Schärpe hält mich fest umschlossen, auf meine gelbe Galahose bin ich besonders stolz und die schwarzen Husarenstiefel glänzen wie Speckschwarte und gehören auch dazu. So reite ich stolz auf meinem Schimmel mit der blauen geschwungenen Schabracke. Nüsse knacke ich nicht, höchstens die Liliputaner unter den Nüssen, mehr gibt meine Größe nicht her. Symbolisch knacke aber jede harte und komplizierte Nuss, welche die Dorfbewohner nicht gern knacken möchten. Ich bin also nicht nur gern anzusehen, sondern sehr beliebt. Vor allem schaue ich nicht ganz so grimmig drein wie die Gendarmen, Förster und Könige aus meiner Zunft der Nussknacker. Es gibt aber auch einige wenige Ausnahmen. Mit solch einem Nussknacker, dem "KNACKI" der aus den kanadischen Wäldern auf abenteuerlicher Weise zu uns ins Erzgebirge gekommen ist, halte ich dicke Tinte. Er ist mein bester Freund. Ich habe noch einen Freund, einen ganz kleinen Nussknacker auf seinem Pferdchen, vollständig aus Zinn. Der hängt zur Weihnachtszeit am Adventsstrauß; aber dazu später.

Woher ich bin?

Das Licht der Welt erblickte ich um 1980 oder etwas früher in Seiffen im Erzgebirge. Um etwa 1150 kamen Bergleute des Harzes in das Erzgebirge, wo sie Erz zu finden hofften. Schon bald wurde der Erzreichtum dieses Gebietes bekannt und zog weitere Bergleute an. In Seiffen fand man zinnhaltiges Gestein. Schon im 14. Jahrhundert hat man bereits Zinn aus den Flussbetten gewonnen. Das herauswaschen des Zinns nannte man "seiffen". So bekamen der Ort und der Bach seinen Namen. Der eigentliche Bergbau begann jedoch Ende des 15. Jahrhunderts mit dem Abbau von festem Gestein. Ich wurde auch in Zinn gegossen.



Da die Lagerstätten nicht unerschöpflich waren, reichte schließlich das Erz nicht mehr, um die Bergleute zu ernähren. Es wurde ein anderer Broterwerb benötigt.
Sie fanden ihn in der Holzbearbeitung. Zunächst fertigten sie Spielzeug für ihre Kinder. Schon bald gestalteten sie Gegenstände und Menschen ihrer täglichen Umwelt nach. In der Form von Nussknackern taten sie beides. Ein Gegenstand zum Knacken von Nüssen erhielt das Aussehen eines Menschen, in meinem Fall eines stattlichen Husaren zu Pferd.
Aus Olbernhau kommend, am Ortseingang von Seiffen auf der linken Seite stand meine Wiege bei Vater Helbig. Sein Sohn, Herr H. Helbig, schrieb mir:
" …. Das Reiterlein wurde von meinem Vater entworfen. Das genaue Jahr des Entwurfs weiß ich nicht. Es war etwa 1970. Mein Vater hat es bis 1986 produziert. 1987 habe ich die Gestaltung etwas verändert. Die verlängerten Enden sind weggefallen und der Säbel ist hinzugekommen. Auch der Schwengel wurde etwas verändert. 1990 habe ich den Betrieb übernommen und produziere das geänderte Reiterlein weiterhin. … H. Helbig"
Vater Helbig schaute zum Fenster hinaus, in den Wald hinein, und sah mich zwischen den Bäumen. Schnell nahm ich in seinen Augen meine Gestalt an und die bunte Uniform war dann schnell dazugetan. Seine Vorfahren hatten es, wie vieler seiner Zunft, nicht leicht, aber sie ließen sich nicht unterkriegen. Immer suchten sie nach neuen Ideen und schufen die Grundlage der heutigen Spielzeugherstellung in Seiffen.
Ich habe eine Größe von 14 cm x 12 cm. Mein Pferdchen ist nicht aus Vollholz, sondern, wie früher oft üblich, wurden zwei Seitenteile konisch zusammengefügt. Dadurch bin ich standsicher, also ein richtiger Husar.
Das Erzgebirge war viele Jahrhunderte eine Landschaft, die die einheimische Bevölkerung nur schwer ernähren konnte. Lange und harte Winter schränkten die Landwirtschaft ein, die Region war nur sehr schlecht verkehrstechnisch erschlossen und der gefährliche Erzbergbau konnte nur die jungen und kräftigen Männer mit Arbeit versorgen. Aus der Not heraus entstand die Holzspielzeugfertigung als wichtige Nebenerwerbsquelle. Trotz Kinderarbeit und langer Arbeitszeiten waren die Verdienste sehr gering und wurden zudem durch die aufkaufenden Händler, die versuchten die Preise zu drücken, oft weiter geschmälert.

Aufkaufende Händler fanden sich recht schnell. Der kleine Handwerker hatte weder Zeit noch die Möglichkeiten seine Ware international anzubieten. Der Weg nach Leipzig war auch recht beschwerlich.



Ab 1895 setzte sich die Leipziger Mustermesse überall durch. Zu Beginn wurden die Waren besonders leicht verpackt und gern klein gehalten. Die leichte Spanschachtel entstand und in der "Matchbox", der Zündholzschachteln, wurden Seiffner Miniaturen eingebaut und auch heute noch in alle Welt verschickt. Zwar haben die Engländer diese Bezeichnung für Ihre Autos geschützt, aber in Seiffen und der Schweiz wurde sie schon lange verwendet. Einige Händler sollen die Waren aus Seiffen in Tragkörbe auf dem Rücken nach Leipzig gebracht haben. Wenn ich an die Firma Bauer aus Nürnberg denke, denke ich auch an niedrige Preise zurück. Dafür verschenkte Herr Bauer auch seine "Goldenen Kugelschreiber".

Ich und ohne Degen? Ich sage immer, dass ich ihn zu Hause gelassen habe. Das stimmt insofern, dass Deutschland nicht mit Waffen glänzen durfte. Einige Länder erhoben dafür sogar besonders hohe Zölle. Die Vertreterfirma Fischer aus den USA kann davon ein Lied singen. Bei Spielzeug mit sakralen Andeutungen waren die Zölle dann bedeutend niedriger.
Ich durfte mich aber überall in der Welt zeigen.
Die Bildung von Zusammenschlüssen und Genossenschaften (wie z. B. der im Jahr 1919 gegründeten Dregeno) war somit die Folge, um ein Minimum an Einkommen zu sichern.



Erst der Zusammenschluss zu einem solchen Dachverband ermöglichte es den vielen kleinen Handwerksbetrieben in und um Seiffen ein großes Publikum zu erreichen.
H/H war einer der über 140 Kleinbetriebe aus Seiffen.



In diesem Hause begannen also meine Reisen. Nachdem ich als besonders gelungenes Exponat ausgesucht wurde stand ich einige Tage auf dem Schreibtisch. Dann wurde ich in Seidenpapier verpackt und in einem ganz einfachen Karton gelegt. Herr Bauer hätte mich später sowieso in Hochglanzkartons legen lassen. Meine Reise ging bergan zum Haus der DREGENO. Dort wurde ich ebenfalls als gut beurteilt und stand in der Mustervitrine des Hauses. Als die Messe-Zeit nahte wurde ich wieder verpackt und fand mich in Leipzig in einer Ausstellungvitrine wieder. Dort herrschte neben der Dregeno, auch die Demusa aus Berlin über mich. Herr Helbig ließ es sich nicht nehmen doch einmal vorbei zu schauen.
So viele Menschen bewunderten mich und in den letzten Tagen einer Messe drückten sich einheimische Besucher die Nase an meiner Vitrine platt. Ich war ja auch ein schmuckes Kerlchen.
So ging es oft zwischen Seifen und Leipzig hin und her. Eines Tages wurde ich mit einem meiner Zwillinge einem Handwerker anvertraut. Herr Walter Böhme aus Eppendorf stellte sehr viele Kleinstteile aus Holz für die verschiedenen Handwerker her. Bei Ihm stand eine Weihnachtsfeier ins Haus und in so einem kleinen Betrieb galt immer noch der Brauch das es zu einer Weihnachtsfeier Geschenke vom Weihnachtsmann gab. Dazu musste von überall her etwas organisiert werden. Auch bei der Dregeno wurden einige Muster dazu verwendet, um den Arbeitern der Zulieferer, die besonders die Handwerker belieferten, eine kleine Freude zu machen, und so ein Muster durfte auch schnell wieder ergänzt werden.
So stand ich auf dem doch gut gefüllten Gabentisch in Frühstücksraum der Fa. W. Böhme KG und sah nur strahlende Gesichter.

Meine neuen Freunde.

Ich durfte bei den beiden guten Seelen der Firma Böhme, den Fräuleins im Büro, ein neues zu Hause finden. Beide haben mich pfleglich behandelt und so bin ich auch heute nach fast 60 Jahren noch schön anzusehen. Hier begegnete ich auch einem sehr gewichtigen aber recht freundlich dreinblickenden Nussknacker-Kollegen KNACKI.

Fritz der Husar und KNACKI.

KNACKI erzählte mir seine Geschichte und wir wurden gute Freunde.
"Liebes Reiterlein, ich stand in Kanada in einem Pinienwald in einer dicken Pinie versteckt. Da kam ein Erzgebirger und holte mich zu sich ins Erzgebirge. Dort entfernte er vorsichtig das mich umgebende Holz und mir leuchtete die erzgebirgische Sonne ins Gesicht. Ich traf hier viele meiner Kollegen und knacke, wie diese, Eure harten Nüsse besser als manche meiner kleinen Brüder.
Ich helfe mit, die Weihnachtszeit zu verschönern.
Nussknacker "KNACKI".

Adike kattari "tappitastha".

Da ich, das standfeste Seiffner Reiterlein, zu Hause bei den ehemaligen Bürodamen doppelt bin, entschlossen Sie sich, mich wieder zurück nach Seiffen zu bringen. Dort gibt es, nicht weit hinter der Bergkirche, das Hotel "Nussknackerbaude". Ich hoffe mich beim Chef, Herrn Klaus Peter Gehrke, recht wohl zu fühlen. Er besitze eine sehr große Zahl von Nussknackern. Ich denke, ich werde dort von meinen Brüdern freundlich aufgenommen. Wenn es abends beginnt dunkel zu werden haben wir uns spannende Geschichten zu erzählen - vielleicht später sogar einmal zusammen mit meinem Freund "KNACKI".

R. L. 2/20

PS.:


Die Weihnachtsfeiern bei Herrn Böhme fanden auch in kleinen umliegenden Gasstätten statt, wie hier in der Hammerschänke in Hammerleubsdorf bei Eppendorf. Zwischen den Weihnachtsgeschenken für die Belegschaft und deren Kinder fand auch ich bestimmt einen Platz. Natürlich bekam auch Herr Böhme ein Geschenk vom Weihnachtsmann. Ein Würstchen und eine Dose Fische waren ja eine ganz besondere Rarität - und zu den Klängen der Harmonika vom alten Meister Biwonka wurde geschunkelt zum Erzgebirgischen Volkslied:
"Geh'n wir mal rüber, geh'n wir mal nüber, …".



von einem unbekannten Verfasser, wahrscheinlich aus Thüringen aus dem 19. Jahrhundert.


Bis heute stehe ich im Weihnachtshaus in Eppendorf. Hier fühle ich mich in der Weihnachtszeit sehr wohl.
Vom 1. Dezember bis zum 2. Februar des Folgejahres ist das Weihnachtshaus ein "offenes Haus". Jeder ist gern gesehen und für ein Stück selbstgebackenen Stollen nach Großmutters Rezept, einer Tasse Kaffee und einem Weihnachtslied, welches der Hausherr gern jeden aufs Auge drückt, reicht es hier immer.
Jetzt freue ich mich darauf wieder in meinen Heimatort Seiffen zurückkehren zu dürfen. Im Hotel Nussknackerbaude bin ich mit meinen Nussknacker-Kollegen das ganze Jahr über zu bestaunen. Leider ist das Hotel jetzt (2023) geschlossen. Lg.


R. L.


Literaturquellen: Flair der Seiffner Handwerker und aus Wikipedia.



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002 - . Brüderchen...


Brüderchen, komm tanz mit mir...

Schön, schön - schön war die Zeit - Quatsch mit Sauce, die Zeit ist schön und hält immer wieder etwas Angenehmes - Überraschendes bereit.

Auch, wenn in diesem Fall das Wunder meinem leiblichen Vater geschuldet ist, aber jetzt muss es heißen, unserem leiblichen Vater.

Einer allein kann ja auch gar nicht so durch die Welt laufen, wie ich, und siehe da, es findet sich ein zweiter. In diesem Fall - Brüderchen Hans.

Dank unserem Vater und noch mehr Dank unseren Müttern, die 1937/38 und 1944/45 solch prächtige Buben gemacht haben. Tausend Dank vor allem unseren Frauen, ohne die wir nicht das wären, was wir sind.

Die Welt ist schön, so wie sie geschaffen wurde, und ich bin erneut dankbar; auch wenn derzeit wieder einmal alles gegen die Schönheit in der Welt spricht. Beim Wetter sind wir uns fast einig. Es gibt gar kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlecht angezogene Menschen. Ich sage: es gäbe gar keine schlechte Welt, wenn wir alle sie nur schön machten. Mit schön meine ich nicht bequem, wie im Schlaraffenland, nur einfach gesund, natürlich und damit liebenswert für jedermann, der sie so sehen will und sich darin gut fühlt. Die anderen sind eigentlich nur zu bedauern. Die Welt wird schöner, das ist für mich so sicher, wie das ... Ozonloch! Ein Widerspruch? nein, gerade darin verbirgt sich die Lösung.

Dies sind die ersten Gedanken, nach der Begegnung mit meinem Bruder nach einer viel zu langen Zeit, in der das Lied von den "Königskindern" in vielerlei Hinsicht gesungen werden konnte. Die Zukunft wird es zeigen, ob etwas Liebe und etwas Zuwendung die Bruderliebe auf lange Zeit erhalten kann. Möge unser Zusammentreffen uns vor allem Kraft und Ruhe geben, die wir dann denen weitergeben, die es gern annehmen und wir uns alle gemeinsam freuen können.



Bei mir klingt es heute nach Mendelssohn und mit Heine:

Leise zieht durch mein Gemüt liebliches Geläute.
Klinge kleines Frühlingslied, kling hinaus ins Weite.

Kling hinaus bis an das Haus, wo die Blumen sprießen.
Wenn du eine Rose schaust, sag, ich lass sie grüßen.

Ich wünsche mir:

Wahre Freundschaft soll nicht wanken, wenn sie gleich entfernet ist,
lebet fort noch in Gedanken und der Treue nie vergisst.


Marta würde wohl singen aus der Oper Hänsel und Gretel:

Brüderchen komm tanz mit mir, beide Hände reich ich dir: ...

und:
Jetzt kommen die lustigen Tage, ...


dem füge ich allerdings recht ungern hinzu, leider kommen auch andere; wollen wir nur immer das Beste daraus machen.

Bestimmt wird die Zukunft uns Zeit und Muse geben, um mit etwas Abstand möglichst viele Resonanzen und Harmonien zu entdecken und das Beste daraus zu machen.


Was war es nun, das Fritz wiederum auf die Spuren seinen Vaters brachte? Zuerst eine ganz natürliche Neugierde. Halt, neugierig sind ja bekanntlich nur die Frauen, bei uns Männern ist es immer nur der Wissensdurst. Dann war da die frühere Anklage, Fritz wolle ja nur in den Westen. Er hatte damals spontan darauf geantwortet:

(..., dass der Mann, welcher diese Behauptung machte - möglicherweise auch gar nichts anders machen konnte, da er nun mal so geprägt war ...),

"Ich kann mir aber vorstellen, dass mein Vater auch meine Hilfe brauchen könnte. Wissen sie, ob er krank, gebrechlich, hilfsbedürftig, arm oder verstoßen und missverstanden ist? Ich könnte ihm womöglich helfen oder auch nur eine Stütze sein!"

Seit diesem spontanen Ausspruch hatte man Fritz scheinbar in Ruhe gelassen. Jetzt war aber ein Bruder da und Fritz überfiel wieder dieser Wissensdurst. Fritz wird eine Jahresleiter zu jeweils 12 Monaten aufstellen und alles, was er über seinen Vater erfährt, darin einordnen. Am Ende will Fritz etwas klarer sehen. Wann das einmal sein wird, kann man heute nicht sagen.

Aber nun zu Vaters Spuren. Vater hatte eine Freundin, eine gute Freundin in Bingen, denn sonst wäre da ja nicht ein Bruder. Also auf nach Bingen und nach Vaters Fußspuren sehen.

Da kamen am Anfang gleich wieder Zweifel auf. Waren da doch in der Vergangenheit so viele negative Erfahrungen von Fritz gemacht worden. Diesmal war alles anders. Aus anfänglicher Skepsis wurde gegenseitige Zuneigung und Freude auf allen Seite. So ist es richtig, denkt Fritz, die Welt soll sich freuen und Fritz will, dass sich alle mit ihm freuen. Diesmal scheint es so gekommen zu sein. Hans, sein Bruder, soll anfangs recht skeptisch geschaut haben, als er folgenden Brief in den Händen hielt:






Eppendorf/Erzgebirge, ...


Sehr geehrter Herr Koch,

Mit diesen Zeilen hoffe ich, eine Freundschaft ins Leben zu rufen, welche mir viel bedeuten würde.

Es war schon seltsam, dass ich vor etlichen Jahren auf eine Cousine gestoßen bin. Gerda Mark, geb. Müller ließ mich vor kurzem wissen, dass Sie Herr Koch und ich eng verwandt sein sollen. Ich glaube einfach daran, dass dies so ist und für mich ein Anlass, zu Beginn das "DU" anzubieten. Wenn ich richtig vermute, so sollte ich einige "Monate" älter sein.

Also noch mal von vorn:

Lieber Hans,


Fritz, mit Familiennamen Ludvin, grüßt Dich herzlichst. Wenn ich es von Gerda richtig verstanden habe, so haben wir einen gemeinsamen Vater. Mein Vater ist:

Herr Fritz Ludvin, geboren am 06. August 1910, wahrscheinlich in Schleiz.

Meine Mutter ist seit längerem verstorben, und von meinem, bzw., unserem Vater weiß ich wenig.

Wenn dies stimmt, was Gerda mir mitteilte, dann sind wir ja väterlicherseits "Brüder".

Ich hoffe, es stimmt, und es würde mich überaus freuen, wenn Du auch Interesse an einem gegenseitiges Kennen lernen hättest. Meine Frau und ich, wir würden uns sehr freuen.


Da ich meinen Vater kaum kenne, - nicht weiß, ob er groß oder klein, dick oder dünn war, so freue ich mich besonders darauf, einen leiblichen Bruder zu haben; und ich habe den Wunsch, Dich zu sehen. Wenn Du auch daran interessiert bist, dann sollte dem nichts im Wege stehen - so denke ich.




Wo wir uns treffen, ist mir gleich. Wir laden Dich und Deine Familie ganz herzlich in unser Erzgebirge ein. Im Haus ist genügend Platz. Wir kommen auch gern zu Euch, es kann aber auch an einem andern Ort sein. Auf jeden Fall freuen wir uns auf ein Zusammentreffen.

Soviel für heute.

Meine Frau Marta und ich, wir schicken liebe Grüße an den Rhein. Auch herzliche Grüße unbekannterweise an Deine Familie.

Wir würden uns sehr freuen, wenn ein Zusammentreffen möglich wäre.

Dein Bruder väterlicherseits, Fritz
...

Hans ging mit diesem Brief zu seiner Mutter - und die bestätigte es, zugegeben auch mit etwas Zittern im Herzen. Hans hatte seinen richtigen Vater auch nicht gekannt. Natürlich reagierte er, genau wie Fritz vor vielen Jahren; " Was soll denn das, ein Witz, wenn es wahr ist, dann ist es der Erzeuger und was soll das"! Da war aber - wie bei Fritz - der Wissensdurst - und eben ein Brüderlein im schönen Erzgebirge. Seine Mutter gestand ihm alles und der Familienzusammenführung stand nichts mehr im Wege.

Das erste Abtasten auf neutralem Boden war gut verlaufen und nun kam das erste Kennen lernen. Leider nur sehr kurz, aber das wiederum findet Fritz gar nicht so schlimm. Er wollte ja erst einmal auf Vaters Spuren laufen. und das tat er, gemeinsam mit seiner Frau und Lore, der lieben Freundin seines Vaters.

Der erste Abendspaziergang am Vater Rhein war eine erste Tuchfühlung, ein erstes Herantasten - und die Ruhe tat gut.

Am kommenden Tag machte die Großfamilie, also Fritz und Marta, Freundin Lore, Hans und dessen liebe Frau Ina, Mainz unsicher. Diese Stadt verdient es, in Ruhe studiert zu werden. Es war eine schöne Einführung die vor allem Hans gab. Ein vorzügliches Mittagessen in historischer Umgebung rundete den Vormittag ab. Der Nachmittag verlief recht harmonisch bei Kaffe und Kuchen. Am Abend wurden noch die Kinder von Brüderchen Hans neugierig und es ist zu hoffen, dass diese Neugier noch recht lange anhält, und uns allen noch viele gemeinsame und schöne Stunden verleben lässt. Neue Horizonte könnten sich auftun.

Bingen wurde am nächsten Tag zu einer wahren Fundgrube.
Fritz hatte sich früher erinnert, dass er 1941/42 trockenen Fußes über den Rhein gegangen war. Nun war es Freitag, der 28. März 1997. Lore, seine Frau Marta und Fritz erkundeten Bingen. Fritz war etwas aufgezogen, wie sollte er auch anders seine Nervosität verbergen. Es gelang ihm so einigermaßen, und erwartungsvoll begann der Tag mit einem guten Frühstück. In Bingen fand das Auto mit Lores Hilfe fast von allein zur Burg Klopp; und nun ging es zu Fuß auf Erkundung. Fritz war es egal wohin. Er war ja schon überall einmal gewesen und nun hoffte er, dass sich in Ihm irgendwo, irgendwann etwas regte. Das Wetter war sehr windig und der Komet Hale-Bopp mit seinem schönen Schweif, den er am Vorabend so Gedankenversunken betrachtet hatte, als er in Kempten einen Abendspaziergang am Rhein machte, war bestimmt ein gutes Omen. Bingen, eine Stadt mit viel Reiz, tat sich ihm auf. Goethe war hier und Fritz spürte, dass Goethe schon einmal seinen Weg gekreuzt hatte. Er liebte Schiller mehr als Goethe, schon wegen dessen revolutionären Ideen, die bei Fritz gleich nach denen von
Dr. M. Luther kamen. Aber Goethe war früher auch schon immer dabei, Fritz spürte es ganz deutlich. Etwas seltsam war es doch, als er die Burgmauern erblickte, und sich nicht so recht zu erinnern vermag, und doch wusste, dass er schon einmal hier gegangen war. Er lief recht ziellos umher. Alles war so schön. Der Blick auf das "Binger Loch" mit dem Zusammenfluss von Nahe und Rhein mit dem Mäuseturm. Als er etwas später im Bergfried stand und wieder hinüber zur Burg Ehrenfels blickte, spannte sich ein Regenbogen - nicht wie gewohnt am Himmel, sondern - zwischen dem Rhein-Nahe-Eck und der Burg Ehrenfels. Eine grandiose Erscheinung, und alle waren erstaunt. Fritz aber war auch etwas andächtig geworden; natürlich eine Wetter Erscheinung, ein Zufall, wie der Komet am gestrigen Abend, aber eben doch zum richtigen Zeitpunkt für Fritz.

Jetzt sah er über Bingen hinweg, betrachtete den Mäuseturm und als er hinter die Burg lief, dorthin, wo sie zum Rhein hinab sieht, da rief Fritz schnell seine Frau und sagte, hier stand ich früher in einer eigentümlichen Situation. Zu dieser Behauptung hatte ihm die Erinnerung an ein altes Foto verholfen. Dieses zeigte Fritz auf diesen Burgabsatz. Die eigentümliche Situation war, dass Fritz eine viel zu große Uniform und Stiefel, die ihm bis zum Po reichten, trug. Wahrscheinlich war die heutige Burg nach 1938, dem Geburtsjahr von Fritz, einmal vom Arbeitsdienst besucht worden, denn seit 1897 diente sie als Stadtverwaltung, und Fritz wurde hier derart stolz dekoriert. Nun reihten sich Ereignisse an Ereignisse, die Fritz immer wieder in seine Kindheit zurückversetzten. Auf der anderen Seite der Burg war eine kleine Treppe zu einer Aussicht. Als er oben stand, waren da zwei kleine Tritte, so abgenutzt, wie die waren, da musste er ja schon darauf gestanden haben. Welcher kleine Bub hätte sich da nicht darauf gestellt.

Nun ging es in den Bergfried. Dieser Turm ist recht schön, von innen als auch von außen; und vor allem auf dessen Dach. Da stand nun Fritz, nachdem er sich vom Keller bis auf dieses Dach auf Erkundung gemacht hatte. Alles war so schön alt und die letzten Stufen bis zum Ausstieg auf das Dach müssten fast so alt sein wie Fritz, denn die Farbe an der Wand des ziemlich engen Aufstieges möchte wohl so an die knapp 60 Jahre auf dem Buckel haben. Nun stand er auf dem Dach und saugte die Landschaft in sich auf. Herrlich, trotz des starken Windes. Gerade er machte, dass Fritz sich wie ein Bezwinger vorkam. Auf einmal stand ein kleiner Bub neben ihm. Fritz schaut - und ist überrascht. So alt sollte er damals gewesen sein. Er fragt, und der Bub antwortete etwas verwundert, dass er schon 10 Jahre alt sei. Fritz ist trotzdem weiter überrascht. Er steigt langsam wieder hinab und beginnt nun erst, alles etwas genauer zu betrachten. Zuerst war er nur so ziellos umher gerannt. Da waren so viele interessante Dinge, die nun wiederum Fritz fesselten.

Im Keller, oder im Turmverlies, egal was es nun einmal war, sehen einen die Knochen, Grabsteine und andere Dinge aus vorchristlicher Zeit an. Es scheint, als ob Heinrich der IV. heimlich aus einer Ecke schaut. Etwas für Kenner und Fritz ist schnell wieder oben. Da stehen schöne Renaissance Möbel, Bilddokumente, Steinschlossgewehre und ein altes Foltergerät. Das chirurgische Instrumentarium eines römischen Arztes sollte an so einem Tag gar nicht richtig gewürdigt werden, aber Fritz kommt wieder, das weiß er genau.
Als Fritz von Dach des Burgfriedes nun doch recht bedächtig und mit Interesse herabsteigt, sieht er den Turmwart. Das ist der, welcher heute den Eintritt kassiert. Fritz sieht sich den Mann an und kommt gleich mit ihm ins Gespräch. Er ist zu Beginn wortkarg, macht aber einen recht vertrauten Eindruck. Ja, er ist ein alter Bingener und da hält es Fritz nicht mehr.

Natürlich war 1941/42 der Rhein zugefroren und die Straße über den Rhein hatte es wirklich gegeben, bestätigte er. Die Fährleute hatten sie natürlich auf Anraten der Stadt angelegt, aber die kleine Einnahme für den Übergang war bestimmt auch nicht zu verachten gewesen. Es war das Zehnpfennigstück, welche Fritz sich aufgespart hatte.

Er wurde damals von der Mutter nach Rüdesheim geschickt und er hatte die 10 Pfennige in Stab-Lakritze angelegt, und da er dadurch nicht auf dem Weg gehen durfte, er hatte ja das Wegegeld aufgegessen, so kam er mit zerschundenen Knien und zerrissenen Hosen nach Hause. Bingen ist nicht groß, und trotzdem musste Fritz in der Nähe der Fähre gewohnt haben, denn sonst hätte ihn Mutter doch nicht allein weggelassen. Es wird sich später zeigen, saß es wirklich so war.

Der Turmwart sagte dies und das aus der alten Zeit. Er kannte auch noch die beiden Kasernen des Arbeitsdienstes und bestätigte, dass unter der alten Kaserne ein Spielplatz gelegen habe. Fritz konnte sich nämlich an einen Balancierbalken erinnern. Es fügte sich alles langsam zusammen. Der Turmwart fragte Fritz nach dem Namen seinen Vaters. Er kannte ihn nicht. Aber er kannte einen anderen Namen. Fritz hatte immer einen Namen im Ohr, wo er in Bingen gewohnt haben sollte. Familie Lorch. Er hatte aber die Hoffnung aufgegeben, da er vor einigen Jahren merkte, dass dies der Name eines Ortes am Rhein war. Jetzt bestätigte der Turmwart, dass in einer Straße, parallel zum Rhein, zur damaligen Zeit eine Familie Lorch gewohnt hat. Fritz erfasste eine innere Unruhe. Der Turmwart musste sich etwas wundern. Während er das eine und das andere erzählte, schaute Fritz etwas abwesend zum Fenster hinaus.

Dass der Burggraben noch Interessantes birgt und der Brunnen auf der Burg so 400 nach Christi gegraben wurde, 52 m tief ist und möglicherweise einen unterirdischen Gang noch nicht freigegeben hat, das hat Fritz nicht mehr so richtig gehört. Was heißt nicht richtig gehört. Er hörte alles, nur war er in Gedanken bei seiner Wohnung. Da war ein Hinterhof, so in grün, vor allem dunkel, da goss ein Mädchen Blumen und so zum Schabernack dem Fritz das Wasser auf den Kopf. Da war eine einzelne Stube, die Fenster zu ebener Erde, und die Leute gingen immer direkt am Fenster vorbei. Da sagte Mutter, wenn es auf Reisen ging. Mach schnell Fritz, stehe endlich auf, ich kann den Zug schon hören. Das zog, und Fritz sprang aus dem Bett, oder war es nur das große Sofa an der Wand? Fritz schlief fest und Mutti hatte ihm eingeschärft, dass er es ja nicht verschlafen dürfte. Morgen früh soll die Reise wieder etwas länger werden; zur Oma und da muss man früh aufstehen und darf den Zug nicht verpassen. Klopf mit der großen Fußzehe sooft an das Bett, wann du aufwachen willst, und du wirst sehen, dass es klappt. Wahrscheinlich hatten wir keinen Wecker. Fritz weiß es nicht mehr. Er hatte auch tüchtig mit der großen Fußzehe an das Bett geklopft und schlief. Ihm träumte, dass er auf der Loreley stand, nein er saß auf dem Geländer und unten fuhr dieser wichtige Zug ab. Mutti hatte es doch gar so wichtig gemacht und nun hatte es Fritz doch verpasst. Er saß auf diesem Geländer und sah, wie der Zug sich in Bewegung setzte, wie dicke Rauchwolken aus der Lokomotive stiegen und er immer schneller wurde. Da fuhr der Zug und da war ja auch die Mutter darin, niemand hielt ihn mehr fest, was die Mutter doch immer tat wenn er, wie so oft, auf einem Geländer saß und diesmal so hoch oben auf der Loreley! Fritz konnte nicht anders, er musste zu diesem Zug und in seiner Verzweiflung sprang er hinunter zu diesem Zug.

Es tat nur etwas weh, und als der die Augen öffnete ging soeben das Licht an und Mutter sah, wie Fritz neben dem Bett lag. Komisch, es war aber wirklich Zeit zum Aufstehen, sagte die Mutter, und die Reise ins Erzgebirge zu Oma und Opa konnte rechtzeitig beginnen.

Fritz hörte noch viel, was der alte Turmwärter sagte:

Die heilige Hildegard von Bingen, wieder so etwas Komisches, nicht nur, dass sein Vater namensgleich mit Vor und Zunahme war und dieser an den heiligen Ludvin erinnerte, hieß doch seine Mutter Hildegard. Aber diese heilige Hildegard von Bingen, diese
Äbtissin, Mystikerin, war Naturwissenschaftlerin, Predigerin und Kirchenpolitikerin ist, wie die Mutter von Fritz, keine Schweigerin. Da ist der Mäuseturm, in dem der herrschsüchtige und geizige Bischof Hatto aus Mainz von Mäusen aufgefressen worden ist. Da ist das Wahrzeichen, das Wirtshaus "Zum Schiffchen", und bei einem Wirtshaus soll Fritz gewohnt haben. Die Basilika St. Martin, Fritz will auch in Zukunft noch etwas entdecken und lässt es an seinem Ohr vorbeigehen. Die Kapuzinerkirche, auch sie muss warten, denkt Fritz. Der alte Kran, ja und da war doch ein Zollhaus, alles so schön alt, an dieser Stelle hört Fritz wieder aufmerksam zu. Er erinnert sich, da war so ein langer Arm und alles so schön alt. Und die schöne Rochus Kapelle, Sie wird Fritz noch zu Gesicht bekommen. Die Drusebrücke. Es ist die zweite Brücke über die Nahe und Fritz hat schon von ihr geschwärmt. Da war doch etwas mit dieser Brücke. Leider konnte Lore Fritz da nicht ganz zustimmen aber jetzt hörte er es noch mal. Da war wirklich eine Brückenkapelle in einem Brückenpfeiler, die sogar vergrößert wurde.

Der Turmwart hatte geendet und Fritz riss sich von seinen Gedanken los.

Fritz wünschte dem Burgwart zwar schöne Ostern und lange Gesundheit, und alles Gute, verließ ihn aber doch etwas zu schnell.

Gleich zu Fuß und schnell sollte es gehen. Da brachte ihn Lore recht schnell wieder zur Besinnung. Erst ein Stück mit dem Auto und schön langsam...!

Zuerst zur neuen Kaserne, da war nichts mehr aus der alten Zeit zu sehen. Am Rhein-Nahe-Eck war alles in Stein gefasst. Wenn Fritz als Bub hier stand, zierte ein kleiner Zaun aus Birkenstämmen diese Ecke so schön.

Und dann ging es doch diese Straße entlang. Fritz ging vornweg und stand vor dem Haus mit dem Hinterhof. Der war gar nicht dunkelgrün sondern hell und in gelb gehalten, aber die Fenster zur Straße waren zu ebener Erde, die Eingangstür zugemauert, oder war es das Nebenhaus? Ja, in dieser Straße war es - und da hörte er auch diesen Zug, nur fuhr er heute schneller und keuchte nicht so wie damals.
Das Goethehaus weckte so manche Erinnerung in Fritz. Hier hatten Lorschs gewohnt hatte der Turmwärter gesagt. Nun spazierten sie weiter und kamen an diese alte Kaserne. Da sah es Fritz, das große Eingangstor - und wo war der Spielgarten?

Jetzt war es aber höchste Zeit zum Mittagessen, und bei Lore wartete ein leckeres Mal. Auch merkte Fritz, dass der Vormittag doch recht in die Beine gegangen war und so wurde der Nachmittag mit dem Auto verbracht. Die Fahrt nach Bad Kreuznach wurde im Spaziertempo zurückgelegt, natürlich über die Drusebrücke mit der Kapelle in einem der Pfeiler; und die schönen Salinen erweckten wieder alte Erinnerungen.
Am Abend ließen alle ihre Gedanken baumeln und Fritz zeigte Videos aus der unmittelbaren Vergangenheit, aus dem Erzgebirge.

Der kommende Tag begann mit einem Bummel - wieder am Rhein in Bingen. Diesmal in eine andere Richtung. Und da war es klar: nicht nur, dass nun der Spielplatz vor den Augen von Fritz auftauchte und dahinter das große Tor der alten Kaserne zu Fritz herüberschaute. Fritz wusste - hier wird er gern wieder herkommen.

Mit den Rädern einmal entlang der Nahe und des Rheines und dann am Abend ein Tänzchen auf einem der schmucken Fahrgastschiffe, ergänzte Marta mit leuchtenden Augen.

Und der Duft der Weinberge! Fritz hatte solch einen Duft an der Elbe erfahren und dort immer gesagt, so sei es auch am Rhein gewesen. Nun will er ihn auch tüchtig einatmen. Schon am Nachmittag folgte ein schöner Spaziergang auf den Rochusberg, und da lagen sie, die herrlichen Weingärten. Natürlich noch in ihrer eingeschlagen Art, noch nicht richtig aus dem Winterschlaf erwacht, aber Fritz glaubte, schon die ersten Regungen im Weinstock zu verspüren. Auf dem Berg genossen alle die herrliche Aussicht und erfreuten sich an der weithin sichtbaren schönen Wallfahrtskapelle.

Am Abend ging nicht nur dieser schöne Tag zu Ende, sondern auch diese Wiedergeburt. Im Vater Rhein ging die Sonne unter, und da sah ihn Fritz, den Nibelungenschatz. Als wolle er aus dem Rhein aufsteigen, so markierte die Sonne das Rheinufer, das dunkle Gold der Kelche und Rüstungen der Nibelungen; und Fritz glaubt an den Rheinschatz. Nur denkt er anders, als all die, welche sich da schon Gedanken gemacht haben. Er schätzt den Tronjer, wie Hagen Tronje genannt wurde, als einen Mann ein, der von derber Art war, so wie die Hermundoren aus den Bergen des Miriquidi. Als Zweitgeborener wird er sich einem Tross von Etzel angeschlossen haben und durch seine Kraft und Größe ein anerkannter Wächter geworden sein. Er schützte nicht nur seinen Herrn, sondern auch das Reich, und er wird mit bäuerlicher Schlaue nicht die tiefste Stelle im Rhein genommen haben, als er den Schatz versteckte, im Gegenteil, eine breite Stelle, die gut zugänglich war und wo man mit wenigen Knappen den Rhein anhalten und die Gruft mit einer Platte und/oder einem Stein gut verschließen konnte. Dann wird der Rhein diese verwerfliche, oder doch gute Tat, je nach Betrachtungsweise, wieder bis zum heutigen Tag unsichtbar gemacht haben, und die Knappen werden bestimmt den nächsten Feldzug nicht überlebt haben - wie ich mir den Tronjer vorstelle. Mit diesen Gedanken zum Schatz der Nibelungen im Rhein ging eine schöne Suche auf Vaters Spuren zu Ende und wird - so ist zu erwarten - neue Anfänge, neue Maßstäbe setzen.




F.W. 3/1997






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